Donnerstag, Dezember 5, 2024
Science

Was die Welt im Innersten zusammenhält: Von der Steinzeit zur Singularität

„Und wenn die Erde morgen in die Luft fliegen sollte, würde das Universum wie gewohnt seinen Routinen nachgehen. Niemand würde uns Menschen mit unseren subjektiven Empfindungen vermissen. Daher ist jeder Sinn, den wir dem Leben geben, reine Illusion.“         

Wenn sie sich dafür interessieren, wie sich der Mensch vom ersten Homo Sapiens zum heutigen Stand entwickelt hat und was ihn dazu befähigt hat, sich die Erde Untertan zu machen, dann lesen Sie dieses Buch. Wenn Sie vorhaben, überhaupt nur ein Buch zu lesen, dann lesen Sie dieses Buch.

Hararis Kunst liegt in der klaren Strukturierung: statt Kaiser und Schlachten zeigt er die Strukturen und Zusammenhänge der Evolution. Es gelingt ihm, die Geschichte der Menschheit beginnend vor 2,5 Millionen Jahren, als die ersten menschenähnlichen Tiere lebten, entlang dreier großer Revolutionen aufzuzeigen: die kognitive Revolution (vor 70.000 Jahren), die landwirtschaftliche Revolution (vor 12.000 Jahren) und die wissenschaftliche Revolution (vor knapp 500 Jahren). Vor 2 Millionen Jahren machten sich die Urmenschen aus ihrer Heimat in Ostafrika nach Nordafrika, Europa und Asien auf und bildeten in der Folge verschiedene Arten. In dieser Zeit lebten bis ca. vor 10.000 Jahren (die Zwergenmenschen auf der Insel Flores starben vor 12.000 Jahren aus) verschiedene Menschenarten auf der Erde, bis sich schließlich unsere eigene Art, der Homo-Sapiens (Gattung-Art), aus der Familie der Menschenaffen, durchsetzte. Wahrscheinlich ermöglichten um 70.000 entstandene neue Denk- und Kommunikationsformen dem Homo Sapiens sein Verhalten so flexibel anzupassen und in größeren Gruppen zusammenzuarbeiten, dass die anderen Menschenarten keine Chance mehr hatten. Erst eine flexible, fiktive Sprache (über abstrakte Dinge) erlaubte die Erfindung von Mythen und damit die effektive Zusammenarbeit von wildfremden Menschen – so wie es heute Glaubensgemeinschaften und Konzerne vormachen. Der Homo Sapiens konnte von nun an Verhaltensweisen in kurzer Zeit ändern und an die nächste Generation weitergeben, ohne dass Genmutationen oder Umweltveränderungen dazu nötig waren.

Vom Jäger und Sammler zur landwirtschaftlichen Revolution
Unsere steinzeitlichen Vorfahren lebten als Jäger und Sammler; die fünf bis acht Millionen Menschen vor der landwirtschaftlichen Revolution verteilten sich auf Tausende Stämme mit sehr unterschiedlichen Kulturen und Sprachen. Überlebensnotwendig waren umfassendes Wissen über die Umwelt, hervorragende geistige Fähigkeiten und körperliche Fitness. Dass die durchschnittliche Lebenserwartung nur bei 30-40 Jahren lag, war begründet durch die hohe Kindersterblichkeit. Mit der landwirtschaftlichen Revolution begannen die Menschen, Tiere und Pflanzen zu manipulieren und zu domestizieren. Es änderte sich die Ernährung hin zu einer eher einseitigen Kost, Infektionskrankheiten (die von Haustieren übertragen wurden) und Hungersnöte durch Dürre oder Überschwemmungen breiteten sich aus, der Körper des Homo Sapiens war für landwirtschaftliche Tätigkeit schlecht geeignet. Anders als vermutet war der Alltag der Bauern härter und weniger befriedigend als der ihrer Vorfahren. Aber die landwirtschaftliche Revolution ernährte mehr Menschen, wenn auch unter schlechteren Bedingungen und das Bevölkerungswachstum machte die Rückkehr zum früheren Leben unmöglich (Luxus schafft Zwänge und oftmals entstehen sukzessive Veränderungen, die niemand vorhersehen konnte und wollte). Harari zeigt eindrucksvoll, dass evolutionärer Erfolg mit großem Leid für den Einzelnen einhergehen kann (insbesondere auch für die riesige Zahl an domestizierten Tieren). Mit dem Beginn der Landwirtschaft beginnt die Planung über Monate und Jahre hinweg wichtig zu werden. Auf dem Rücken der Bauern entstehen politische und gesellschaftliche Systeme: „Geschichte ist etwas, das eine kleine Minderheit tut, während die anderen Äcker pflügen und Wasser schleppen.“

Mythen und Märchen
Wie schaffen es Herrscher / Eliten / Kirchen eine erfundene Ordnung (Christentum, Sklaverei, Kapitalismus, Demokratie, …) aufrecht zu erhalten? „Sie dürfen nie zugeben, dass diese Ordnung nur ein Fantasieprodukt ist.“ Überzeugend die Einsicht, dass selbst scheinbar persönliche Wünsche von der erfundenen Ordnung vorgegeben werden: „Wenn wir heute eine Menge Geld für Auslandsurlaube ausgeben, dann nur deshalb, weil wir echte Anhänger der Mythen des romantischen Konsumismus sind.“ Die kollektive Fantasie von Millionen Menschen ist nicht einfach mal so zu verändern – die erfundene Ordnung ist „intersubjektiv“ und ihre Mythen können nur durch eine komplexe Organisation (via Parteien, Ideologien, Religionen) durch andere Mythen und andere erfundene Ordnungen ersetzt werden. Auch die Weitergabe von Gesetzen, Verfahren und Bräuchen an die nächste Generation erfordert bewusste Anstrengungen. Harari zeigt, wie die Notwendigkeit zur Verarbeitung von Informationen zur Entwicklung der Schrift, von Katalogen, Suchsystemen, Buchhaltung und Ziffernsystemen führt.
Alle Gesellschaften basieren auf erfundenen Hierarchien, Kategorien, Kasten, die sich als Teufelskreis über Jahrhunderte hinweg halten und verstärken können. Es wird klar, dass die erfundenen Ordnungen, Mythen und Märchen umso raffinierter sein müssen, je größer und komplexer die Gesellschaften werden. Menschliche Kulturen sind permanent im Fluss und man beobachtet über die Jahrtausende hinweg, dass kleinere Einheiten zu immer größeren und komplexeren Kulturen verschmelzen – die Geschichte entwickelt sich unaufhaltsam in Richtung Einheit. Man versteht, wie sich Geld (das erste Geld der Welt war das Gerstengeld der Sumerer; noch zu Beginn des 20 Jh. konnten in Uganda Steuern mit Kaurischnecken bezahlt werden), Imperien, Religionen und Ideologien ausbreiten, um den Grundstein für die globalisierte Welt zu legen.

Der Pfeil der Geschichte
Interessant ist die Diskussion, ob sich die Geschichte genauso wiederholen würde, wenn man den Kalender 10.000 Jahre zurückstellte: Wird das Christentum wieder von einer esoterischen Sekte zur Weltreligion werden? Wird die unbedeutende radikale Gruppe der russischen Bolschewiken wieder die Herrschaft über ganz Russland an sich reißen? Geschichte verläuft in dem Sinne chaotisch, dass schon kleinste Veränderungen die Entwicklung in völlig andere Bahnen lenken. Der aufkommende Kapitalismus wurde einer der Erfolgsfaktoren für die wissenschaftliche Revolution in den letzten 5 Jahrhunderten. Während lange Zeit Geld nur real existierende Dinge repräsentierte, kam in der Neuzeit unter dem Eindruck des Fortschrittsgedankens ein Kreditsystem auf, das auf Vertrauen in die Zukunft aufgebaut war – incl. Spekulationen und Blasen. Heute hat der Konsumismus incl. aller Absurditäten gesiegt: „Allein in den Vereinigten Staaten geben die Menschen jedes Jahr mehr Geld für Diäten aus als nötig wäre, um die Hungernden im Rest der Welt zu ernähren.“ Die moderne industrielle Tierhaltung ist das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Aber die Welt ist insgesamt friedlicher geworden, da man heute durch Geschäfte schneller reich werden kann als durch Eroberungen. Aber wie schon vor 1000 Jahren gibt es einen Unterschied zwischen der Elite und den Massen. „Im mittelalterlichen Europa lebten die Könige und Adlige in Saus und Braus, während die Bauern sparsam lebten und jeden Pfennig umdrehten. Heute haben sich Rollen umgekehrt. Die Reichen verwenden große Sorgfalt auf die Verwaltung ihrer Anlagen und Investitionen, während sich die weniger gut Betuchten verschulden, um Autos und Fernsehapparate zu kaufen, die sie nicht brauchen.“
Zum Ende müssen wir einsehen, dass das subjektive Wohlbefinden nicht durch äußere Parameter wie Einkommen oder soziale Beziehungen bestimmt wird, sondern letztlich nur Ergebnis der Biochemie des Körpers und von Botenstoffen wie Serotonin, Dopamin und Oxytocin ist. Wahres Glück kommt von innen – die wesentliche Erkenntnis nach 2 Millionen Jahren Menschheitsgeschichte. 

Originalität Erkenntnisgewinn
VerständlichkeitSpaßfaktor
Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit. Pantheon Verlag, 2015, 526 Seiten.

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