Donnerstag, Juli 4, 2024
Management

Dilbert – Drucker – Pfläging: wir sind ein Team!

Die drei system-immanenten „Lücken“ von Management erzeugen Verschwendung. Nichts davon erzeugt Wertschöpfung, nützt Kunden, Mitarbeitern oder Eigentümern. Ein hoher Preis für die Illusion von Beherrschbarkeit.“  

Sind Lehrbücher über Unternehmensorganisation nicht völlig Old-School? Eigentlich ja, aber noch viel older ist die immer noch in vielen Unternehmen etablierte bürokratische Pyramidenorganisation, die die Abläufe quer über die Teams ignoriert und „Managern“ sich über die Anzahl der „Untergebenen“, Eckbüro und Firmenwagenklasse definieren lässt. Pfläging beschreibt dezentrale, vernetzte Organisationsformen, in denen die Mitarbeiter vielfältige, wechselnde Rollen annehmen.

Warum funktioniert das über Jahrzehnte eingeübte tayloristische Prinzip der Arbeitsteilung („Wie isst man einen Elefanten? In Scheiben!“) in vielen Branchen nur noch unzureichend? Hier findet Pfläging ganz gute Antworten: zum einen erfordern komplexe (nicht komplizierte!) Umfelder ein Denken im Ganzen (neudeutsch: systemisch, end-to-end, prozessorientiert), weniger eine Optimierung nur an einzelnen Teilen. Zum anderen erzeugt die klassische, hierarchische Unternehmensorganisation drei systemimmanente Lücken, die dem Unternehmenserfolg im Weg stehen:

  • funktional: die Zerlegung von Gesamtprozessen in Teilaufgaben, was dann eine Unzahl von Regeln, Kontrollen und Standards nötig macht, um die Teilaufgaben wieder zu integrieren
  • sozial: die Trennung zwischen Managern, Untergebenen und Unter-Untergebenen, die die Kompetenzen der Mitarbeiter und die für den Unternehmenserfolg notwendigen sozialen Interaktionen ignoriert
  • zeitlich:  eine zeitliche Trennung zwischen schlauer Entscheidung und Planung durch das Management und nachgelagerter Ausführung wird den Echtzeitanforderungen vieler Unternehmenssituationen nicht mehr gerecht

Was also tun? Natürlich erst mal das zugrundeliegende Menschenbild grade rücken: Menschen sind intrinsisch motiviert und in der Lage, sich selbst in Richtung auf ein akzeptiertes Ziel zu führen und ihr Potenzial zu entfalten. Wir alle kennen auch ein paar Gegenbeispiele, aber im Grundsatz geht das sicher in die richtige Richtung. Dann also nieder mit den Palästen. Wenn man Peter Druckers These „90% der Praktiken, die wir Management nennen, bewirken nichts als Menschen von ihrer Arbeit abzuhalten“ folgt, dann gilt es, diese 90% zu identifizieren: Organigramme, Stellenbeschreibungen, Gehaltsbänder, Zielverhandlungen, Fachkarriere, Urlaubsregelungen, Karriereplanung, Chefparkplätze, Budgets, Assessment Centers, Unterschriftenregelung, …, was gibt es dann überhaupt noch den ganzen Tag über zu tun?
Wie bildet man schlagkräftige Teams?
Viele der dann folgenden Ausführungen Pflägings sind leider etwas idealisiert: Ob Einzelleistungen tatsächlich stark überbewertet sind, hängt wesentlich vom Standardisierungsgrad der Abläufe ab; Selbstorganisation und Team-Ermächtigung machen absolut Sinn, sofern das Team tatsächlich zu einer effizienten internen Organisation findet (wenn alle nur Tore schießen wollen, ist der eigene Torwart oft ein armer Tropf); seine Analyse von Wertschöpfungsstrukturen mittels der Trennung in Zentrum, Peripherie und Markt (Kunden) bleibt diffus, das haben die Prozessanalysten in den letzten 20 Jahren methodisch schon etwas profunder beschrieben. Ob die Rückgabe von Entscheidungskompetenz vom Zentrum hin zur Peripherie tatsächlich immer der erfolgversprechenste Weg ist, darf bezweifelt werden, wenn man sich die erfolgreichsten Unternehmensgründungen der letzten 20 Jahre anschaut.
Ist Pflägings Konzept nun alter Wein in neu vernetzten Team-Schläuchen? Zum Teil ja – unterlegt mit unnötiger Terminologie („Wir nennen die Verbindung zwischen Netzwerkzellen Saiten“), die man besser überliest, wenn man sich damit beim nächsten Team-Meeting nicht lächerlich machen will. Auch erscheint das propagierte Vorgehen hin zu dieser Organisationsform eher fragwürdig („Gehen Sie iterativ vor – und beziehen Sie möglichst viele Menschen in den Prozess der Netzwerkstruktur-Gestaltung ein“ – das hört sich eher nach Olympia-Bewerbung an).
Die Stärken des Buches liegen eher in der Inspiration auf dem Weg hin zu einer entbürokratisierten Organisation. Hier sind es viele Hinweise insbesondere zur Mitarbeiterführung wert, wiederholt zu werden:

  • Einfache, wenige Prinzipien („Don’t be evil“) statt vieler Regeln
  • Veränderung durch RRR (Relate/Repeat/Reframe) statt FFF (Facts/Fear/Force)
  • „Prinzipiell konstruktive“ Stimulation von informellen Strukturen (damit ist nicht unbedingt die Finanzierung von Besäufnissen gemeint; auch „Meisterlogen“ sind nicht jedermanns Sache)
  • Recruiting als „heiligste“ Führungsaufgabe (wieso er Beförderung jedoch auch als unternehmerische Schlüsselaufgabe sieht, erschließt sich nicht)
  • Konsequente Dezentralisierung von Entscheidungen

Für junge Unternehmen / Unternehmer ist insbesondere die Frage interessant, wie sich Erfolg und Wachstum auf die anfänglichen Strukturen der Pionier-Phase auswirken; schafft man es tatsächlich, den traditionellen Weg zur Pyramidenorganisation zu ersetzen durch ein Denken in Wertschöpfungsketten, Abläufen und Kompetenzen? 
Einleuchtend sind die Hinweise zu Kerngruppen, eine Gruppe von Akteuren, „auf die es wirklich ankommt“. Wenn es gelingt, dass diese Kerngruppe ein gutes Verhältnis untereinander bewahrt (trotz aller meinHaus-meinAuto-meineYacht-Gebaren), dann können Transformationen gelingen und auch schwierige Zeiten überstanden werden.

OriginalitätErkenntnisgewinn
VerständlichkeitSpaßfaktor
Niels Pfläging: Organisation für Komplexität. Wie Arbeit wieder lebendig wird – und Höchstleistung entsteht. BetaCodexPublishing 2013, 105 Seiten.
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