Mittwoch, November 13, 2024
BodyMind

Neurogenese statt Honig im Kopf

„In einer Studie mit ‚Alzheimer-Mäusen‘ konnte man alleine dadurch, dass man den Mäusen ein Hamsterrad in den Käfig stellte, … eine enorme Erhöhung des LPR-Transporters und einen Abbau an Alzheimer-Toxin erreichen.“

Alzheimer ist mittlerweile in den Industrienationen die am weitest verbreitete Form von Demenz und nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs die dritthäufigste Todesursache. Nehls zieht die immer noch vorherrschende Erklärung, dass Alzheimer originär durch eine altersbedingte Überproduktion von beta-Amyloid verursacht sei, in Zweifel. Er liefert ein alternatives Erklärungsmodell und gleich die passende Therapie dazu.

Die 1906 von Alois Alzheimer benannte Krankheit verbreitet weiterhin einen großen Schrecken, da unklar ist, welche Mechanismen dahinterstecken und wer warum davon bedroht ist. Der Arzt und Molekulargenetiker Michael Nehls präsentiert folgende Ursache-Wirkungskette, die wesentlich mit unserer westlich geprägten Lebensweise zu tun hat:

  • In den Industrienationen liegt bei einem Drittel der Demenzerkrankten eine chronisch gestörte Blutversorgung des Gehirns zugrunde (vaskuläre Demenz), bei zwei Dritteln handelt es sich um Alzheimer.
  • Alzheimer nimmt den Angang an einer spezifischen Stelle im Gehirn, am Eingang zum Hippocampus. Der Mensch verfügt über 2 etwa daumengroße Hippocampi, die als Zentrale für die Speicherung der persönlichen, autobiografischen Erinnerungen fungieren. Alles was wir wahrnehmen, wird im Hippocampus zwischengespeichert. Das Ort- und Zeitregister (im Sinne eines Inhaltsverzeichnisses) bleibt lebenslang im Hippocampus abgelegt, die relevanten täglichen Erlebnisse allerdings werden jede Nacht (während des Tiefschlafs) vom Hippocampus in das Langzeitgedächtnis in der neuen Hirnrinde übertragen. Dort werden sie mit früher gemachten Erfahrungen vernetzt. Der Hippocampus kann lebenslang wachsen, da täglich tausende neue Hirnzellen entstehen und heranreifen (‚Neurogenese‘).
  • Glutamat (Glutaminsäure) ist ein aggressiver Botenstoff, der eingesetzt wird, um die Verbindungen zwischen den Nervenzellen gezielt zu verändern und somit schnell Erinnerungen zu speichern. Damit das Erlebte nicht sofort wieder durch den nächsten Gedanken überschrieben wird, stimuliert Glutamat beim Speichern einer Erinnerung sofort auch die Produktion von beta-Amyloid an den veränderten Nervenzellkontakten – beta-Amyloid verhindert die weitere Freisetzung von Glutamat und sorgt damit für die  Stabilisierung der Erinnerung, bis sie über Nacht ins Langzeitgedächtnis übertragen wird. Dann wird das nicht mehr benötige beta-Amyloid wieder abgebaut und der Hippocampus ist beim Erwachen bereit für neue Erlebnisse und Gedanken. Vor allem während des Tiefschlafs spült diese ‚Reinigungsfunktion‘ überschüssiges beta-Amyloid aus dem Gehirn ins Blut. Allerdings funktioniert die Überwindung der Blut-Hirn-Schranke nur bei gutem Zusammenspiel des Transporters LRP und seines Gegenspielers RAGE (der beta-Amyloid wieder zurück ins Gehirn befördert). RAGE wird durch einen erhöhten Blutzuckerspiegel, aber auch Bewegungsmangel, chronische Entzündungen und Stress aktiviert.
  • Auch das Stresshormon Cortisol erhöht die Ausschüttung von beta-Amyloid, damit in akuten Stresssituationen die Nervenzellen nicht überreizt werden. Neue Nervenzellen sind auch dafür zuständig, die weitere Ausschüttung von Cortisol zu bremsen, wenn eine Situation als nicht gefährlich erkannt wurde. D.h. auch, dass wir stressempfindlicher werden, wenn nicht ständig neue Hirnzellen entstehen. Durch das stressbedingt erhöhte Cortisol produzieren Menschen mit gestörter Neurogenese ständig zu viel beta-Amyloid. Wenn dessen Konzentration im Eingangsbereich des Hippocampus steigt und das beta-Amyloid verklebt, wird aus dem Erinnerungsschutz das Alzheimer-Toxin, das Erinnerungen auslöscht und den Hippocampus und dann sukzessive weitere Teile des Gehirns zerstört.
  • Cortisol hemmt auch die Energieversorgung des Hippocampus, da es seine Zuckerschleusen blockiert und so seine Nervenzellen ‚verhungern‘ lässt.  

Diese gesamte fatale Kausalkette lässt sich nur unterbrechen, wenn man die Bildung von Hirnzellen wieder in Gang setzt. Insgesamt ist die westliche Lebensweise nicht mehr ‚artgerecht‘. Was also sollte man tun, um Alzheimer zu begegnen und auch vorzubeugen?

  • Bewegung kurbelt die Neurogenese an, da über ein Zusammenspiel von Hormonen dem Hippocampus signalisiert wird, dass mit Neuem zu rechnen ist. Regelmäßiges Spazierengehen, Laufen, Schwimmen, Radfahren triggern die Bildung neuer Gehirnzellen – am besten im Freien, damit auch Vitamin D gebildet wird.
  • Begeisterndes Erleben: Belangloses Fernsehen ist heutzutage die Hauptbeschäftigung vieler Menschen. Um zu verhindern, dass neue Gehirnzellen wieder absterben (die heranwachsenden Hirnzellen müssen innerhalb von 3-6 Wochen einen nachhaltigen Kontakt zu ihrem Umfeld finden, um überleben zu können), muss man aktiv sein und Neues erleben. Austausch mit Mitmenschen und neue Herausforderungen und der damit verbundene positive Stress (Eustress), aber auch Soziales Engagement sind geeignete Maßnahmen, um das Erlebnisgedächtnis zu erhalten. Sorgen Sie für mehr Oxytocin durch Kuscheln, Streicheleinheiten, Massagen und viel direktem Kontakt zu Familie und Freunden.
  • Vermeiden Sie negativen Stress – bringen Sie Ihren Geist in einen Zustand fokussierter Gelassenheit. Yoga und Meditation können dabei helfen.
  • Schlafen Sie ausreichend. Heutzutage schlafen wir durchschnittlich weniger als 7 Stunden, vor der Erfindung der Glühbirne waren es noch 9 Stunden. Ausreichender Schlaf wird gefördert, indem man genügend Tageslicht abbekommt und Tätigkeiten unter freiem Himmel ausübt. Auch ein kurzes Mittagsschläfchen ist empfehlenswert.
  • Optimieren Sie Ihre Ernährung: Heranwachsende Hirnzellen brauchen die essentiellen, mehrfach ungesättigten Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren (im Gehirn im Verhältnis 1:1), die vom Körper in DHA bzw. Arachidonsäure umgewandelt werden. Die beste Quelle für Omega-3 bzw. DHA sind fettreicher Fisch bzw. Öl aus biologisch angebauten Meeresalgen. Am besten alle Nahrungsmittel meiden, die einen hohen Anteil an Omega-6-Fettsäuren aufweisen (Wurst, Sonnenblumen-, Mais-, Distelöl), da wir bereits einen deutlich zu hohen Anteil an Omega-6-Fettsäuren in der Nahrung haben. Zum Braten und Frittieren ausschließlich natives Kokosöl verwenden. Als Salatöl sind Lein-, Raps- und Olivenöl zu empfehlen. Gesättigte Fette werden fälschlicherweise für Gefäßerkrankungen verantwortlich gemacht; im Gegensatz zu mehrfach ungesättigten Fettsäuren tragen gesättigte Fettsäuren aber nicht zur Entwicklung einer Arteriosklerose bei.
    Besonders gefährlich sind Transfette, die vom Gehirn aufgrund der chemischen Verwandtschaft versehentlich anstelle der natürlichen Hirnbausteine in die Nervenzellen eingebaut werden.
    Auch Süßgetränke und Süßigkeiten sollten Sie vermeiden (Schokolade nur mit mindesten 85% Kakaoanteil essen).
    Neben der optimalen Versorgung mit Vitaminen durch vollwertige Ernährung (Vegetarier sollten B12 und Meeresalgen-DHA einnehmen), ist Homocystein ein weiterer wichtiger Biomarker: ein erhöhter Wert (meistens durch einen Mangel der Vitamine B6, B9, B12 verursacht), erhöht das Infarktrisiko (für Herz und Gehirn) und ist ein eigenständiger, ursächlicher Risikofaktor für Alzheimer. Ziel sollte ein Wert von maximal 8 mikromol / Liter sein.
    Grüner Tee hat eine Unmenge positiver Effekte: u.a. senkt er die Bildungsrate von Alzheimer-Toxin-Ablagerungen, hemmt die Produktion von beta-Amyloid und wirkt daher sowohl vorbeugend als auch therapeutisch.
    Auch Kurkuma und DHA-Fischöl verstärken sich in ihrer Wirkung, so dass beides zusammen konsumiert eine besonders positive Wirkung hat. 
    Kokosöl ist auch eine sehr gute Selenquelle, Paranüsse haben die höchste Selenkonzentration (1900 microgramm / 100 gramm).
  • Neben Glukose kann das Gehirn auch über Ketonkörper mit Energie versorgt werden: Wenn Sie für mindestens 12 Stunden keine Kohlenhydrate essen, ist der Blutzuckerspiegel so niedrig, dass kein Insulin gebraucht wird, um ihn zu senken. Dann werden Fettsäuren freigesetzt; sie gelangen über den Blutstrom in die Leber, und werden dort zu sogenannten Ketonkörpern zerkleinert, die so klein sind, dass sie über die Blut-Hirnschranke ins Gehirn wandern können und dort als Energie bereit stehen. Zu ihrer Verbrennung wird weniger Sauerstoff benötigt als bei Glukose, so dass diese Energieversorgung auch bei schlechter Durchblutung funktioniert. Eine weitere Möglichkeit, die Ketonkörperproduktion auch ohne Fasten anzuregen, ist die Ernährung mit Kokos- oder Palmkernöl, da diese mittelkettigen Fettsäuren direkt in die Leber gelangen und zu Ketonkörper transformiert werden – eine Möglichkeit, den Hippocampus trotz Insulinblockade mit Energie zu versorgen.
  • Ein Blutdruck von 135 mmHg zu 80 mmHg gilt als optimal für den Erhalt der geistigen Fitness im Alter. Der Blutzuckerspiegel sollte unter 5,5mmol/Liter gehalten werden.
  • Beim Cholesterin ist ein Wert von maximal 100 mg/dl (besser 70mg/dl) beim LDL-Cholesterin (Transport hin zu den Organen), beim HDL-Cholesterin (Rücktransport von den Organen) ist ein Wert größer 55 mg/dl wünschenswert. Der aussagekräftige LDL/HDL-Quotient sollte unter 3 liegen. Haferkleie hilft, überschüssiges Cholesterin aus dem Körper zu schleusen. Auch das Polyphenolextrakt aus der Zitrusfrucht Bergamotte senkt das LDL- und erhöht das HDL-Cholesterin.
  • Auch ein genügend hoher Vitamin D3-Wert (zwischen 70 und maximal 130 nmol 25-OH-D3 / Liter) senkt das Alzheimer-Risiko.

Nehls hat profundes Wissen, das Erklärungsmodell erscheint schlüssig. Was spricht dagegen, seinen Empfehlungen zu folgen? Es erfordert etwas Disziplin, aber es sollte es Ihnen wert sein, oder?

Originalität Erkenntnisgewinn  
Verständlichkeit Spaßfaktor

Michael Nehls: „Alzheimer ist heilbar“,  Heyne Verlag, 3. Auflage 2017,  368 Seiten.

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