Dienstag, Juli 2, 2024
Science

Was die Welt im Innersten zusammenhält

„Wie sehen die aufgewickelten Dimensionen aus?“              

Wenn es Ihnen schlaflose Nächte bereitet, dass allgemeine Relativitätstheorie und Quantenmechanik nicht vereinbar sind, hier kommt die Lösung: nehmen Sie sich 2 Wochen Urlaub und studieren Sie hier, wie die (Super)Stringtheorie das Problem löst.

Haben Sie damit zu kämpfen, Einsteins spezielle und allgemeine Relativitätstheorie zu verstehen, und sind Sie immer noch verwirrt von den Merkwürdigkeiten der Quantenmechanik? Diese Themen sind nur das Vorspiel einer Tour de Force, bei der Sie Brian Greene mitnimmt zur vordersten Wissensfront, die das Rutherford’sche Atommodell, das wir vom Physikunterricht kennen, wie Teletubbies-Physik aussehen lässt.

Als Basis für alles Weitere erklärt Greene mal flott, was in diesen riesigen Teilchenbeschleunigern wie dem CERN vor sich geht: Atome, und auch Protonen, Neutronen und Elektronen sind bei weitem nicht die fundamentalsten Bausteine der Materie: Protonen und Neutronen bestehen jeweils aus 3 noch kleineren Teilchen, den Quarks (die es in den Varianten up und down gibt). Daneben gibt es noch (Elektron-)Neutrinos (die Ihren Körper grade in riesiger Zahl durchdringen), Myons (identisch mit dem Elektron, aber 200mal so schwer), 4 weitere Quarks (charm, strange, bottom und top), Tauons (noch schwerere Verwandte des Elektrons) und Myon- und Tauon-Neutrinos. Zudem hat jedes dieser Teilchen ein zugehöriges Anti-Teilchen (gleiche Massen, aber gegensätzlich geladen): z.B. das Positron zum Elektron.

Weiterhin gibt es 4 fundamentale Kräfte: Gravitation, elektromagnetische Kraft, sowie die schwache und die starke Kernkraft (die vor allem bei subatomaren Abständen wirken), denen auf mikroskopischer Ebene jeweils ein Teilchen zugeordnet ist (als kleinstes Bündel der Kraft): Graviton, Photon, schwaches Eichboson, Gluon.

Greene gelingt es, durch sehr anschauliche Beispiele und Metaphern die Grundideen und Erkenntnisse der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie zu illustrieren, ohne oberflächlich zu sein: Die 1905 von Einstein publizierte spezielle Relativitätstheorie postuliert, dass Beobachter, die sich relativ zueinander bewegen, Entfernung und Zeit unterschiedlich wahrnehmen (für Objekte in Bewegung vergeht die Zeit langsamer), ein Effekt, der allerdings erst mit sehr großen Geschwindigkeiten wirklich signifikant wird. Raum und Zeit sind vergleichbare Dimensionen und so wie sich Objekte im Raum bewegen, kann man sich auch die Geschwindigkeit eines Objektes in der Zeit(dimension) vorstellen. Alle Objekte bewegen sich stets mit Lichtgeschwindigkeit in der Raumzeit, d.h. wenn ein Objekt sich im Raum bewegt, wird ein Teil der Bewegung durch die Zeit (altern) für die Bewegung durch den Raum abgezweigt. Deswegen altert das Licht(photon) auch nicht: bei Bewegung mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum bleibt kein Anteil für die Bewegung durch die Zeit übrig.

Aus E = mc2 folgt, dass verdammt schnelle Objekte auch verdammt schwer werden (d.h. eine hohe Masse haben), und nicht über die Lichtgeschwindigkeit hinaus beschleunigt werden können. Dies gilt auch für die Übertragung von Signalen und Informationen – und führt damit die von Newton behauptete augenblickliche Wirkung von Gravitation ad absurdum. Daher muss eine neue Erklärung her; die allgemeine Relativitätstheorie erklärt, wie die Gravitationskraft übertragen wird, nämlich indem Raum und Zeit sich krümmen. Vielleicht kennen Sie die Analogie des Gummituchs, das durch eine schwere Kugel eingedellt / gekrümmt wird. Je massenreicher die Kugel, so größer die Eindellung, und natürlich wird die Eindellung geringer, wenn man sich weiter von der schweren Kugel entfernt. „Wenn ein Fallschirmspringer zur Erde segelt, gleitet er eine Vertiefung hinab, die durch die Masse der Erde in der Raumstruktur hervorgerufen wird.“

Das zweite Teil des Vorspiels widmet sich der Quantenmechanik, hier geht es um verblüffende Eigenschaften von mikroskopisch kleinen Objekten und subatomaren Abständen. Einstein bekam 1921 den Physik-Nobelpreis für die Erkenntnis, dass Licht aus einem Strom winziger Teilchen, den Photonen, besteht: eine 100W Glühlampe emittiert pro Sekunde etwa 1020 Photonen. Mit dem verblüffenden Doppelspaltexperiment kann man zeigen, dass Photonen – obwohl sie Teilchen sind – auch Wellencharakter haben („Welle-Teilchen-Dualismus“). De Broglie bekam 1929 den Nobelpreis für die Erkenntnis, dass dies nicht nur für Licht, sondern auch für Materie generell gilt (die Wellenlänge von Materie ist allerdings so winzig, dass der Wellencharakter in der Alltagswelt verborgen bleibt).

Leider gibt es Situationen (wenn Dinge sehr massenreich und sehr klein werden), bei deren Verständnis man sowohl die allgemeine Relativitätstheorie als auch die Quantenmechanik braucht. Es zeigt sich, dass unsinnige Aussagen entstehen, wenn man die Gleichungen beider Theorien miteinander vereinigt. Die Theorie der starken, schwachen und elektromagnetischen Kraft bekommt man in Einklang (als ‚Standardmodell der Teilchenphysik‘), die Gravitation bleibt aber außen vor: „Bei ultramikroskopischen Größenskalen befindet sich der entscheidende Aspekt der Quantenmechanik – die Unschärferelation – in direktem Konflikt zu dem entscheidenden Aspekt der allgemeinen Relativitätstheorie – dem glatten geometrischen Modell von Raum (und Raumzeit).“

Die Stringtheorie geht einen neuen Weg zur Beschreibung der ultramikroskopischen Eigenschaften des Universums: nach dieser Theorie sind die elementaren Bausteine des Universums keine punktförmigen Teilchen, sondern winzige, eindimensionale Objekte, die wie winzige dünne Gummibänder hin und her schwingen. Wenn man Elementarteilchen als solche Strings darstellt, lassen sich ihre Kernkraft-Wechselwirkungen exakt durch die Eulersche Beta-Funktion beschrieben. 1984 zeigten Green und Schwarz, dass die Theorie vielseitig genug war, um alle vier Kräfte und die gesamte Materie einzubeziehen. Zwischen 1984 und 1986, der „ersten Superstringrevolution“ sind mehr als 1.000 Forschungsarbeiten dazu erschienen und fast alle Entdeckungen der letzten 100 Jahre der Physik konnten damit überzeugend erklärt werden. Insbesondere führen verschiedene Schwingungsmuster (als „Fingerabdruck“) der Strings zur Entstehung verschiedener Massen und Ladungen der Elementarteilchen: schwerere Teilchen beruhen auf Strings, die mit höherer Energie schwingen; ein Schwingungsmuster entspricht den Eigenschaften des Gravitons (ein masseloses Teilchen, das sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegt), so dass die Gravitation auch Teil der Stringtheorie ist. Die gewaltige Stringspannung veranlasst die Strings sich zu winzigen Ausmaßen zusammenzuziehen: ein typischer String hat die Plancklänge von 10-33 Zentimeter.

Natürlich bleibt es nicht so übersichtlich: im Rahmen der „zweiten Superstringrevolution“, die von Edward Witten (der als der bedeutendste (lebende) Physiker gilt – er ist 1951 geboren) ab 1995 eingeläutet wurde, wurde klar, dass die Stringtheorie Objekte mit einer Vielzahl weiterer Dimensionen einschließt. Insbesondere muss auch die uns allen vertraute Erkenntnis, dass das Universum 3 Raumdimensionen hat, deutlich nach oben korrigiert werden. Wie kann das sein? Die Erklärung („Kaluza-Klein-Theorie“) läuft darauf hinaus, dass die nicht sichtbaren Dimensionen in einem winzigen Raum eng aufgewickelt sind, so dass sie auch mit modernsten Mikroskopen nicht sichtbar sind – modernste Geräte können Strukturen von der Größe 10-18 Meter entdecken. Die Rechnungen ergeben ein sinnvolles Bild, wenn man davon ausgeht, dass die Strings in 9 (mittlerweile ist man bei 10 angelangt) unabhängigen Raumrichtungen schwingen, d.h. 3 ausgedehnte Raumdimensionen und 6 (7) weitere aufgewickelte Dimensionen. Aber vielleicht sind einige der aufgewickelten Dimensionen ja auch Zeitdimensionen?
Viele schlaue Leute beschäftigen sich damit, wie die aufgewickelten Dimensionen tatsächlich aussehen: die geometrischen Formen sind nicht beliebig, es wurde gezeigt, dass eine bestimmt Klasse von sechsdimensionalen geometrischen Formen („Calabi-Yau-Räume“) die Bedingungen erfüllt. Zudem wurde die Frage, ob Löcher und Risse in der Raumzeit auftreten können, mit ‚Ja‘ beantwortet; wahrscheinlich gilt dies auch für die drei ausgedehnten Raumdimensionen – u.U. sind Abkürzungen von einer Region des Universums zu einer anderen möglich (Wurmlöcher).

Wenn Sie bis dahin immer noch nicht aufgegeben haben, präsentiert Greene auch noch die neuesten und schwierigsten Entwicklungen der Stringtheorie: die M-Theorie bringt die verschiedenen Teile der stringtheoretischen Forschung zu einer einzigen, allumfassenden Theorie zusammen, die die 10 + 1 Dimensionen begründet und neben den Strings noch weitere Objekte (2-dimensionale schwingende Membranen, 3-dimensionale Klümpchen und viele weitere) ins Spiel bringt. Doch wahrscheinlich sind hier ihre 2 Wochen Urlaub zu Ende – sie brauchen eher ein Sabbatical, um den Zusammenhang von M-Theorie zur Entropie schwarzer Löcher, und zur herrschenden Urknalltheorie zu verstehen. Wir können vereinfacht mitnehmen, dass das Universum nach dem Urknall im Laufe der Abkühlung von über 1028 Kelvin mehrere Phasenübergänge durchlief, bei denen die ursprünglich vereinten Kräfte getrennt wurden. Es liegt nahe darüber nachzudenken, warum das Universum sich in genau 3 Raumdimensionen ausgedehnt hat. Vielleicht hat das Universum auch eine Vorgeschichte vor dem Zeitpunkt Null, die wir noch nicht kennen? Vielleicht ist das, was wir „Universum“ nennen, nur ein Teil eines viel umfassenderen kosmischen Gebiets? Noch radikaler ist die Überlegung, dass jedes Schwarze Loch der Keim zu einem neuen Universum sein könnte, das aber hinter dem Ereignishorizont für immer unseren Blicken entzogen ist.

Die Stringtheorie ist noch relativ jung, hat aber schon ungeheure Erkenntnisse gebracht und Gravitation und Quantenmechanik verschmolzen. Wenn Sie daran glauben, dass es keine Grenze des wissenschaftlichen Erklärungsvermögens gibt, stehen noch spannende Zeiten bevor.

Originalität Erkenntnisgewinn
VerständlichkeitSpaßfaktor
Brian Greene: Das elegante Universum. Goldmann Verlag, 3. Aufl. 2006, 511 Seiten.
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