Donnerstag, Juli 4, 2024
ManagementScience

Nichts ist so interessant wie die Trends von gestern

Vieles im Leben, auch im Geschäft, basiert letztlich auf Zufällen. Die wenigsten Innovationen werden ‚geplant‘.“

Ein Trendbuch aus dem Jahr 2011, wie sinnlos ist das denn? Weit gefehlt, es ist interessant zu sehen, dass die meisten der damals genannten Trends auch heute noch sehr relevant sind. Insbesondere kann man ein Jahrzehnt später noch besser beurteilen, wie gut die Einschätzungen von Horx waren und lernt viel durch die strukturierte Gesamtsicht und die Einordnung vieler anderer ‚Zukunftsforscher‘.

Horx interessiert sich für die großen Linien und Zusammenhänge (‚Megatrends‘), die unsere Welt verändern. Spannend ist dieses Buch, da es nicht die Erkenntnisse und Entwicklungen getrennt nach Wissenschaftsschubladen beschreibt, sondern das ökonomische, politische, soziale und naturwissenschaftliche Gesamtgefüge im Auge hat und insbesondere Schnittstellen-Wissenschaften (Systemtheorie, Kognitionspsychologie, Evolutionswissenschaft) zur Erklärung mit heranzieht.

Erstaunlicherweise haben die Themen fast nichts an Aktualität eingebüßt: Angesichts des aktuellen Zukunftspessimismus ist es immer wieder erstaunlich, sich die Erfolge der Menschheit bzgl. des Zugewinns an Wohlstand und Gesundheit, des Kampfes gegen Hunger und Elend zu vergegenwärtigen – auch wenn diese Entwicklungen nicht immer linear verlaufen sind. Seit Erscheinen des Buches hat die Hysterisierung der Öffentlichkeit sicherlich weiter zugenommen (‚Informationsüberfluss erzeugt auf Dauer die Gewissheit, dass alles immer schlimmer wird.‘).

Auch wenn das Wort ‚Megatrend‘ (in den 80er Jahren von John Naisbitt kreiert) etwas in Verruf geraten ist, gibt es langfristige Wirkprinzipien und rote Fäden, die den Weg in die Zukunft erklären. Aber Zivilisationen können auch an Kipppunkte geraten, die es erfordern, neue Technologien und Organisations- und Sozialsystem zu erfinden.

Horx beleuchtet das Für und Wider in den Megatrends Globalisierung, Frauen, Individualisierung, Alterung, Urbanisierung, Mobilität, New Work, Neue Bildung, Gesundheit, Neo-Ökologie und Konnektivität. Auch wenn nicht alle Themen gleich spannend sind, erfährt man doch viele überraschende Zusammenhänge. Wenn Sie sich für ‚Game of Life‘, Komplexität eines Toasters, Memetik, die Zukunft von Guantanamo, oder die Chauvet-Höhle in Südfrankreich interessieren, gibt’s interessante Details zu entdecken.

Horx betrachtet aber auch sehr grundsätzlich, in welchen Modellen (etwa anhand von Kondratieffs Zyklentheorie oder Schumpeters Theorie des Wandels) man Veränderung beschreiben kann. Eine Erkenntnis dabei lautet, dass Krisen notwendig sind, damit sich neue Ordnungen bilden und neuartige Lernprozesse organisieren. Eine zentrale Frage ist, welche Rolle die technische Beschleunigung dabei spielt – angesichts der Tatsache, dass der Evolutionsgeschwindigkeit des menschlichen Gehirns Grenzen gesetzt sind. Viele Fragen der Menschheit warten auf Lösungen: Wie werden wir die Energieknappheit lösen? Wie wird die Erwerbswelt der Zukunft aussehen? Wie werden wir Gesundheit organisieren? Horx hat ziemlich konkrete Vorstellungen davon, wie das Jahr 2045 aussehen wird. Auch wenn er auf die Arbeiten des Zukunftsforschers Herman Kahn, des Spieltheoretikers John von Neumann und das Spiral-Dynamics-Modell von Beck/Cowan eingeht, ist leider wenig zu hören von unterschiedlichen Szenarien der Menschheit, die vor uns liegen können: wenn wir Trends nicht nur beschreibend verfolgen, sondern die richtigen Entscheidungen treffen wollen, wäre es interessant zu verstehen, ob es Tipping Points gibt, die das Schicksal der Erde grundlegend in die eine oder andere Richtung wenden können. Kann man diese Tipping Points erkennen, um dem Schicksal einen Schubs in die richtige Richtung zu geben? Kann man die Entwicklung der Erde trotz der unendlichen Menge an Einflussparametern simulieren, wie kann Machine Learning uns hier unterstützen? Viele Fragen, vielleicht als Input für eine Neuauflage?

Originalität Erkenntnisgewinn
VerständlichkeitSpaßfaktor
Matthias Horx: Das Megatrend Prinzip. Wie die Welt von morgen entsteht. Deutsche Verlags-Anstalt, 2011, 335 Seiten.
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